Was bleibt, wenn wir vergessen?
- Tanja Bernsau
- 17. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Warum ich als Historikerin eine Monuments Woman bin

Ein altes Foto. Eine kaum lesbare Inschrift auf einem Stein. Eine Geschichte, die fast verloren gegangen wäre. Es sind diese kleinen, unscheinbaren Dinge, die mich immer wieder daran erinnern, warum ich tue, was ich tue.
Ich nenne mich Historikerin. Aber eigentlich bin ich eine Spurensucherin. Eine Erzählerin. Eine, die bewahren will, was sonst verloren ginge – nicht aus Nostalgie, sondern aus Überzeugung. Ich sehe mich in der Tradition der Monuments Men and Women: Menschen, die im Zweiten Weltkrieg nicht nur Menschenleben, sondern auch Kunstwerke, Bücher, ganze Kulturen vor der Zerstörung gerettet haben. Und das nicht für sich selbst – sondern für uns alle. Für die Zukunft.
Geschichte ist nicht vorbei – sie wirkt
Manche sagen, es sei an der Zeit, „einen Schlussstrich“ zu ziehen. Die Vergangenheit ruhen zu lassen. Den Holocaust nicht ständig zu thematisieren. „Das ist doch schon so lange her.“
Ich widerspreche.
Geschichte ist kein abgeschlossenes Kapitel. Sie ist kein verstaubter Aktenschrank. Sie wirkt in uns weiter – in Familiengeschichten, Denkmalen, Prägungen, Ängsten, Narrativen. Und sie prägt unsere Gegenwart – durch das, was wir erinnern, und durch das, was wir verdrängen.
Wer heute über den Wiedererstarken rechter Ideologien spricht, darf nicht vergessen, wohin Entmenschlichung und systematisches Wegsehen führen können. Wer sich fragt, warum unsere Demokratie fragil geworden ist, findet Antworten in der Geschichte. Und wer begreifen will, wer wir sind, muss wissen, woher wir kommen.
Warum wir erinnern müssen
Erinnerung ist unbequem. Sie tut weh. Sie fordert uns heraus. Und sie braucht Räume.
Gedenktage, Stolpersteine, Biografien, Archive – all das sind keine sentimentalen Rituale, sondern bewusste Entscheidungen: Wir vergessen nicht. Wir verleihen Stimmen, die zum Schweigen gebracht wurden, wieder Gehör. Wir nehmen Verantwortung für das, was war – und für das, was nie wieder sein darf.
Erinnerungskultur ist keine romantische Rückschau. Sie ist gelebte Demokratie. Und sie ist wichtiger denn je.
Kulturerbe ist kein Luxus – es ist Identität
Warum erhalten wir alte Bauwerke, restaurieren Gemälde, feiern Bräuche? Warum finanzieren wir Museen, Archive, Theater?
Weil Kulturerbe mehr ist als Dekoration. Es ist das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft. Es erzählt, was wir als bewahrenswert erachten. Es schafft Verbindung zwischen Generationen, vermittelt Zugehörigkeit – und zeigt, wer mitgemeint ist. Und auch, wer eben oft nicht.
Gerade darin liegt Verantwortung: Nicht nur das Offensichtliche zu erhalten, sondern auch das Marginalisierte sichtbar zu machen. Denkmalpflege ist nicht neutral. Sie ist immer auch ein Statement.
Die Monuments Women – und ich
1945, irgendwo in Deutschland: Eine Frau betritt ein halb zerstörtes Kloster. Zwischen Trümmern liegen Kunstwerke – geraubt, versteckt, fast verloren. Ihr Name ist Edith Standen. Sie ist eine der Monuments Women. Und sie ist gekommen, um zu retten, was rettbar ist.
Was mich bis heute bewegt: Diese Kunstschutzoffiziere riskierten ihr Leben, um Kulturgüter zu sichern, die nicht einmal ihre eigenen waren. Sie wussten: Kultur ist kein Besitz. Sie gehört der Menschheit.
Ich sehe mich in dieser Linie. Natürlich nicht in militärischer Uniform, aber in Haltung und Mission. Ich schreibe Biografien, erforsche Geschichten, arbeite mit Quellen, mit Sorgfalt, mit Respekt. Ich mache das Unsichtbare wieder sichtbar. Nicht, um es zu musealisieren – sondern um es ins Heute zu holen.
Was das mit heute zu tun hat
Wir leben in einer Zeit, in der viele glauben, dass Geschichte relativ sei. Dass es „auch gute Seiten“ am Nationalsozialismus gab. Dass es „zu viel Political Correctness“ gebe. Dass das Reden über Verantwortung Spaltung verursache.
Ich halte dagegen. Als Historikerin. Als Bürgerin. Als Monuments Woman im 21. Jahrhundert.
Gerade jetzt braucht es Stimmen, die sich nicht mit Oberflächlichkeit zufriedengeben. Die erzählen, was unbequem ist. Die differenzieren, statt zu vereinfachen. Die erinnern – nicht, um zu lähmen, sondern um zu stärken.
Was bleibt, wenn wir vergessen?
Dann verlieren wir mehr als nur Wissen. Wir verlieren Orientierung. Wurzeln. Menschlichkeit.
Und deshalb ist es mir ein Anliegen, Geschichten zu bewahren. Für Familien. Für Institutionen. Für unsere Gesellschaft.
Denn Erinnerung ist kein Ende – sie ist ein Anfang.
Willst du die Geschichte eines Menschen, einer Familie oder eines Ortes bewahren?
Ich unterstütze dich dabei – als Historikerin, Erzählerin und Monuments Woman.
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