Von Gryffindor nach Orlen: Was das Wappen über meinen neuen Wohnort verrät
- Tanja Bernsau
- 27. März
- 4 Min. Lesezeit

Als frischgebackene Orlenerin musste ich schmunzeln, als ich das Ortswappen entdeckte: ein Löwenkopf. Als bekennender Harry-Potter-Fan dachte ich sofort an Gryffindor – schließlich ziert das gleiche Tier das Wappen von Hogwarts’ mutigstem Haus. Ein Zeichen? Vielleicht! Aber während Gryffindors Löwe für Tapferkeit und Ritterlichkeit steht, steckt hinter dem Orlener Wappen eine andere Geschichte – eine, die tief in die mittelalterliche Heraldik und die regionale Vergangenheit führt.
Heraldik: Die Geheimsprache des Mittelalters
Wappen sind nicht einfach nur hübsche Bilder. Sie sind Symbole mit Bedeutung, fast wie ein mittelalterlicher Personalausweis. Ursprünglich dienten sie dazu, Ritter auf dem Schlachtfeld zu identifizieren – in Zeiten, in denen eine Ganzkörperrüstung die Gesichter verbarg, war das ziemlich praktisch.
Doch bald entwickelten sich Wappen weiter und wurden zu Statussymbolen. Adlige Familien, Städte und ganze Territorien nutzten sie, um ihre Herkunft, ihre Ansprüche und ihre Werte zu zeigen. Jeder Bestandteil eines Wappens – Farben, Formen, Tiere oder Muster – hatte eine klare Bedeutung.
Wie liest man ein Wappen?
Um ein Wappen zu entschlüsseln, lohnt sich ein Blick auf folgende Elemente:
1. Die Farben (Tinkturen)
In der Heraldik gibt es sechs Hauptfarben, die symbolische Bedeutungen haben:
Gold (Gelb): Großzügigkeit, Reichtum
Silber (Weiß): Reinheit, Weisheit
Rot: Tapferkeit, Stärke
Blau: Treue, Beständigkeit
Schwarz: Klugheit, Standhaftigkeit
Grün: Hoffnung, Freiheit
2. Die Figuren und Symbole
Jedes Tier oder Objekt im Wappen hat eine tiefere Bedeutung. Der Löwe ist das mit Abstand häufigste Wappentier in der Heraldik – und das aus gutem Grund. Seit dem Mittelalter galt er als Symbol für Macht, Mut und königliche Würde. In vielen Kulturen wurde der Löwe als „König der Tiere“ verehrt, was ihn zum perfekten Wappentier für Herrscherhäuser machte. Besonders im europäischen Adel war er weit verbreitet: Das englische Königshaus führt ihn ebenso in seinem Wappen wie Schottland, die Niederlande, Schweden oder Luxemburg.
Doch nicht jeder Löwe ist gleich: In der Heraldik gibt es zahlreiche Varianten – stehend, springend, liegend oder nur als Kopf dargestellt, mit oder ohne Krone. Die Haltung und Blickrichtung entscheiden oft über die genaue Bedeutung. Ein aufgerichteter Löwe steht für Angriffslust und Wehrhaftigkeit, ein ruhender Löwe für Besonnenheit und Herrschaft durch Weisheit. Der Löwenkopf, wie er im Wappen von Orlen erscheint, hebt besonders die Stärke und Wachsamkeit hervor.
3. Die Blickrichtung
Hier wird es knifflig: In der Heraldik unterscheidet man zwischen verschiedenen Positionen eines Löwen oder Löwenkopfes.
Nach rechts gewandt (heraldisch rechts = unsere linke Seite) → Standardposition, symbolisiert Aktivität, Angriffslust und Führungsstärke.
Nach links gewandt (heraldisch links = unsere rechte Seite) → Seltener, könnte auf eine spezielle Herkunft oder Unabhängigkeit hinweisen.
Das Wappen von Orlen: Ein Zeichen der Zugehörigkeit
Schauen wir uns das Wappen von Orlen an:
Ein schwarzer Löwenkopf, nach links gewandt (also heraldisch rechts)
Goldener und blauer Hintergrund
Das ist eine spannende Kombination. Die Farben Gold und Blau tauchen in vielen historischen Wappen des Hauses Nassau auf – und tatsächlich gehörte Orlen in früheren Jahrhunderten zur Grafschaft Nassau. Nassau-Oranien, eine bedeutende Adelsfamilie, verwendete genau diese Farbkombination in ihren Wappen.
Und der Löwe? Er ist eine direkte Anspielung auf das nassauische Herrschaftssymbol. Auch die niederländische Königsfamilie, die von den Nassauer Grafen abstammt, nutzt bis heute einen Löwen in ihrem Wappen.
Die Blickrichtung nach heraldisch rechts (also für uns nach links) ist die klassische und häufigste Variante in der Heraldik. Sie steht für Stärke, Angriffslust und Führungsanspruch – Eigenschaften, die sich wohl auch die Herren von Nassau auf die Fahnen (bzw. Wappen) geschrieben haben.
Was wir im Wappen nicht sehen
Auch wenn das Wappen Orlens klar auf die nassauische Vergangenheit verweist, reicht die Geschichte des Ortes viel weiter zurück – bis in die Römerzeit. Der Taunus war in der Antike eine strategisch wichtige Region, denn hier verlief der Obergermanisch-Raetische Limes, die befestigte Grenze des Römischen Reiches. Diese Schutzlinie trennte das römische Imperium von den germanischen Stammesgebieten und verlief nur wenige Kilometer von Orlen entfernt.
Archäologische Funde belegen, dass die Römer in der Region aktiv waren. In der Nähe von Orlen gab es römische Straßen, Wachtürme und Siedlungen, die den Limes absicherten. Wahrscheinlich nutzten Händler, Soldaten und Reisende die Wege, die durch das heutige Taunusstein führten. Es ist also gut möglich, dass an genau der Stelle, an der heute das moderne Orlen liegt, schon vor fast 2.000 Jahren römische Soldaten patrouillierten oder germanische Händler ihre Waren anboten.
Nach dem Rückzug der Römer im 3. Jahrhundert n. Chr. übernahmen germanische Stämme die Region. Die Franken, die später das Gebiet beherrschten, legten die Grundlage für viele der heutigen Siedlungen – darunter auch Orlen. Die mittelalterliche Geschichte des Ortes knüpfte dann an diese alten Wurzeln an und führte schließlich zur Zugehörigkeit zur Grafschaft Nassau.
Du siehst: auch wenn uns das aktuelle Stadtwappen meist einen Hinweis auf die Stadtgeschichte gibt, können wir damit bei weitem nicht die ganze Stadtgeschichte ableiten - da steckt noch mehr dahinter, das Wappen zeigt uns immer nur eine Facette.
Mehr als nur ein nettes Wappen
Was auf den ersten Blick wie ein dekoratives Ortswappen aussieht, erzählt also eine tiefere Geschichte. Der Löwenkopf in Orlens Wappen verbindet den Ort mit seiner Vergangenheit als Teil der nassauischen Herrschaft. Die Farben zeigen die territoriale Zugehörigkeit an, während die Blickrichtung auf den klassischen Herrschaftsanspruch verweist.
Also ja – als Gryffindor-Fan freue ich mich über den Löwen. Aber historisch betrachtet zeigt mir dieses Wappen vor allem, dass Orlen tief in die Geschichte von Nassau eingebunden ist. Ein Wappen ist eben mehr als nur ein hübsches Bild – es ist eine Zeitreise in Symbolform.
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